Stephanie Keitz Visual Artist
Ueberreste
ÜBERRESTE
June 24 – August 28, 2016
Galerie im Turm
Ein toter Raum
Stephanie Keitz im Gespräch mit Celina Basra und Melina Gerstmann
Was war Dein Ausgangspunkt für die Ausstellung Überreste in der Galerie im Turm?
Bei einer Eurer letzten Eröffnungen erzählte mir jemand, dass der Turm zur Zeit seiner Erbauung in den 50er Jahren als U-Bahn-Eingang geplant war, aufgrund einer statischen Fehlberechnung aber nie fertig gebaut werden konnte. Daraufhin wurde ein Fußboden eingezogen und die heutigen Galerieräume entstanden. Der Keller blieb im unvollendeten Zustand und es entstand ein toter Raum, der nicht betreten werden konnte. Als ich erfuhr, dass die Galerie ihre Existenz dieser statischen Fehlberechnung verdankt, wurde mir klar, dass ich mit dieser Idee der Instabilität arbeiten möchte. Ich war sehr überrascht, als ich den Keller das erste Mal betrat. Diesen Raum – in seiner Größe und Wirkung – hätte ich so nicht erwartet. Völlig umschlossen von den massiven Betonwänden,ohne Türen und Fenster, stattdessen nur ein kleines Einstiegsloch,fühlte ich mich wie in einer Grabkammer.
Wie entstand dann Deine Vorgehensweise für diesen Ort?
Was mich sehr interessierte, war die Erfahrung, die ich mit dem Raum machen konnte und die Vorstellung, dass der Raum nie die Identität angenommen hat, die für ihn bestimmt war. Er wurde nie zum U-Bahn-Eingang. Er ist schlichtweg Utopie geblieben. Den existierenden Kellerraum haben eigentlich nur die Bauarbeiter zu Gesicht bekommen. Er ist sozusagen in keinem Gedächtnis vorhanden und führt auf diese Weise ein totales Schattendasein. Der Raum wurde zum Überrest einer architektonischen Fehlplanung und dadurch entstand hier ein Ort, der mich auf eigentümliche Weise an eine prähistorische Höhle erinnert. Ähnlich wie diese ist auch er dicht abgeschlossen und von der Realität abgeschnitten. Ein toter Raum par excellence. Einmal fand hier fast nie Leben statt und auch jetzt findet man kein Lebewesen, nicht einmal eine Spinne. Wie eine Archäologin habe ich dann angefangen nach Spuren von Menschen zu suchen. Ich habe übermalte Graffitis entdeckt und sogar einen Handabdruck im Beton. Das sind ganz ähnliche Momente wie sie in prähistorischen Höhlen vorkommen.
Du hast Dich entschlossen, eine Abformung des Raumes zu erstellen. Wie hat sich der Prozess gestaltet?
Ich hatte vorher schon mit Abformungen von Räumen gearbeitet und nach der ersten Begehung hatte ich die Idee, Teile des Raumes mit Latexmilch abzuformen und diese Teile zu etwas Neuem zusammenzusetzen. Durch die Abformung entstehen fragile dünne Häute und die Strukturen der Wände verbleiben als Negativ auf der Rückseite der Latexhaut. Wenn ich diese dann oben im Raum aufhänge, befinden sich die Strukturen auf der Außenseite – vorher waren sie aber auf der Innenseite. Es ist ein Prozess der Umstülpung, ich wende den Raum sozusagen auf links. Was dabei besonders interessant ist, dass der Innenraum des Kellers zum Außenraum der Skulptur wird und sich somit auf einmal ins Unendliche vergrößert. Er ist quasi überall und führt kein Schattendasein mehr. Der Betrachter befindet sich dadurch im Kelleraum, obwohl er sich paradoxerweise außerhalb der Skulptur befindet. Dieser Raum bekommt durch den Prozess der Abformung eine neue Identität und verliert mit den Latexhäuten, die weich, fragil und lichtdurchlässig sind, seine feste Konsistenz.
Du arbeitest viel mit Abdrücken. Warum?
Die Technik des Abdrucks spielt eine zentrale Rolle in meiner Arbeit. Der Abdruck ist in seinem Wesen indexikalisch und damit der Fotografie sehr nah. Vielleicht ist das auch ein möglicher Grund, warum mich der Abdruck so fasziniert. Mit Fotografie kam ich schon in frühen Kindertagen in Kontakt. Mein Vater hatte eine eigene kleine Dunkelkammer. Und bevor ich zu studieren begann, machte ich eine Ausbildung zur Zahntechnikerin. Dort hatte ich jeden Tag mit Abdrücken und Kopien dieser Abdrücke zu tun. Mehr noch als die Fotografie ist der Abdruck mit seinem Objekt direkt verbunden, da dieser durch den Kontakt mit dem Objekt - mit der Realität - entsteht. Und im Abdruck fallen paradoxerweise Abwesenheit und Präsenz – ein da und ein nicht-da, wie Georges Didi-Huberman es
nannte – in einem Objekt zusammen. Der abgeformte Gegenstand oder Raum ist anwesend und im selben Moment abwesend. Und er bezeugt die Existenz des abgeformten Raumes, da der Abdruck nur durch den direkten Kontakt mit dem Raum entstehen konnte. Räume
die uns umgeben, hinterlassen in unserem Inneren eine Art dreidimensionalen Abdruck. Erinnert man sich an den Raum, so durchschreitet man dieses innere Abbild. Dieser innere Raum ist der Ort, in dem Erinnerungen verankert, verortet und beherbergt werden, wie Gaston Bachelard in seiner Poetik des Raumes schrieb. Leben, das in dem Raum stattfand, hinterlässt einerseits Spuren in diesem Raum. Andererseits schreibt sich der Raum – dadurch, dass wir in ihm leben – in unser Gedächtnis ein. Damit wird der Raum ein Teil unserer Identität. Dieses Verhältnis zwischen Innen und Aussen, Körper und Raum ist es, welches mich in meiner Arbeit interessiert.
Die Abformungen der Räume machst Du aus Latex. Was fasziniert Dich an Latex und wie hat sich Deine künstlerische Position und Dein Umgang mit dem Material entwickelt?
An Latex fasziniert mich seine materielle Beschaffenheit. Es ist die Milch des Kautschukbaumes, welche im getrockneten Zustand zu Gummi wird. Kautschukmilch ist organisch und gesundheitlich nicht bedenklich. Ich hatte schon mehrmals Arbeiten aus Kunstharz gemacht und war wirklich sehr genervt von den Schutzmaßnahmen, die ich treffen musste, zumal ich mit dem Ergebnis auf einer sinnlichen Ebene nicht zufrieden war. Gummi ist ein viel sinnlicheres Material. Es ist weich, es lässt Licht durch, es ist extrem dehnbar und es hat einen ganz eigenen speziellen Geruch. Zudem verändert sich Kautschuk mit der Zeit. In seiner Erscheinung, Fragilität und Empfindlichkeit kommt es der Haut sehr nah. Die Vorstellung mag ich sehr.
-> Galerie im Turm
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